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Tolmanns Analyse Zielgerichteten Verhaltens (S.150)

Lewin setzt Valenzen und Erwartungen voraus, sie sind bereits da. Unabhängig von Lewin kam Tolman Ende der zwanziger Jahre mit Rattenexperimenten zu ähnlichen Erklärungsansätzen wie Lewin. Als überzeugter Behaviorist zweifelte Tolmann nocht daran, daß nicht-beobachtbare kognitive Vorgänge im Lebewesen entscheidend für dessen Verhalten sind. Tolmann war bemüht diese Vorgänge in Beobachtbares zu übersetzen. Er versucht sozusagennicht beobachtbares Inneres nach außen zu stülpen, indem er es an den beobachtbaren vorauslaufenden Bedingungen und den nachfolgenden Bedingungen fixiert - sozusagen dazwischen einklemmt.

So klärt Tolmann als erster die Natur der intervenierender Variablen als hypothetische Konstrukte und die Notwendigkeit der operationalen Verankerung in Operationen und Beobachtungen.

Erwartung und Zielgerichtetheit (S.151)

Tolmann verfolgt einen "psychologischen" Behaviorismus . Was ihn von den Lernpsychologen seiner Zeit unterscheidet und gleichzeitig in die Nähe von Lewin rückt, waren vor allem drei miteinander zusammenhängende Sichtweisen der Verhaltenserklärung.

  • Zum ersten bevorzugt Tolmann molare Beobachtungseinheiten gegenüber molekularen. Also nicht einzelne Muskelbewegungen oder Drüsenaktivitäten, sondern größere Abläufe im Gesamtverhalten lassen Zielgerichtetheit oder Absicht (purpose) erkennen.
  • Zweitens trägt die vorschnelle Rückführung des Verhaltens auf physiologische oder neurologische Prozesse wenig zur Verhaltenserklärung bei. (Jedenfalls solange diese physiologischen Grundlagen noch nicht geklärt sind).
  • Drittens ist Verhalten unter dem Aspekt der Zielgerichtetheit auf Zielobjekte und Zustände zu betrachten und zu analysieren.

Drei Aspekte der Zielgerichtet der Zielgerichtetheit hat er besonders herausgearbeitet : Ausdauer (persistance) Gelehrigkeit (docility) und Auswahl (selectivity)

Da operantes Lernen offensichtlich von der Wirkung, vom Erfolg, von der Bedürfnisbefriedigung abhängig ist, und da man sich den Lernvorgang selbst nicht anders denn als Reiz-Reaktionverbindungen vorstellen konnte, blieben die motivationalen Bedingungen der beobachteten Lernleistungen lange unerkannt.

Die klassischen Paradigmen des Lernexperiments sind so eingerichtet, daß der fortschreitende Lernvorgang unmittelbar im Verhalten seinen Niederschlag findet, um als Lernleistung faßbar zu werden. So erschien es müßig, zwischen Lernen und Verhalten, zwischen dem , was gelernt wird, und dem , was getan wird, überhaupt zu unterscheiden.

Anreiz-Effekte (S.152)

Die eingeengte Reiz-Reaktions Sichtweise vertrug sich nicht mit Tolmanns Programm, nachdem das Molare und Zielgerichtetheit am Verhalten für entscheiden hält.

Muß man sich Lernen wirklich als Einstanzen fester Reiz-Reaktionsverbindungen vorstellen ? Kann Lernen nicht in der Herausbildung kognitiver Landkarten (cognitive maps) bestehen, die jeweils Anlaß zu Erwartungen geben, was zu was führt ?

Bevor die einzelnen Untersuchungen dargestellt werden, soll der verwendete Versuchsaufbau kurz skizziert werden.

Simmons machte als erste den Anreizfaktor zum Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Sie fand, daß Ratten das Labyrinth schneller lernen, wenn sie begehrtes Futter finden.

Die Ratten waren alle gleich hungrig. Vor jedem Durchgang durften sie in der Zielkammer kurz vom ausgelegten Futter kosten und wurden dann an den Start gesetzt. Bei begehrtem Futter stieg von Durchgang zu Durchgang die Laufgeschwindigkeit schneller an und die Fehleranzahl sank schneller ab, als dies bei einer Gruppe mit normalem Futter der Fall war.

Folgende Schlußfolgerungen bieten sich an.

Entweder wird bei stärkerem Anreiz schneller gelernt. Diese Erklärung würde der (späten) Hullschen Bekräftigungstheorie entsprechen.

Oder es wird unter beiden Anreizbedingungen gleich gelernt, nur sind die Tiere unter geringerem Zielanreiz weniger stark motiviert, das Ziel schnell zu erreichen. Diese Erklärung entspricht dem Tolmannschen Postulat, daß die Stärke des Zielverlangens eine Determinante ist, die neben dem jeweiligen Lernstand das Verhalten unmittelbar beeinflußt.

Elliott (1928) hat das Tollmannsche Postulat untermauert, indem er während des Erlernens eines Labyrinthes die Anreizstärke gewechselt hat.

Eine Kontrollgruppe, erhielt in allen Durchgängen Sonnenblumenkerne (weniger begehrt). Die Experimentalgruppe erhielt in den ersten 9 Durchgängen ein begehrtes Kleiegemisch. Zum 10. Durchgang wurde das Futter gewechselt - Sonnenblumenkerne statt Kleigemisch.

Wie die Grafik zeigt, tritt zum 10. Durchgang eine plötzliche Erhöhung der Fehleranzahl auf. Da diese schlecht auf einem schlagartigen Verlernen des Labyrinths beruhen kann, muß sie auf einem vom Lernen unabhängigen Motivationsprozeß beruhen.

Es ist demnach zwischen Lernen und Verhalten zu unterscheiden und dem Anreiz als Zielobjekt eine unabhängige Wirksamkeit einzuräumen.

Latentes Lernen : Trennung zwischen Lernen und Motivation (S.154)

Ein Grenzfall der Anreizvariation besteht im Wegfall jedes Anreizes. In diesem Fall findet keine Bekräftigung statt und ein zielgerichtetes Verhalten ist nicht zu erwarten. Aber wird dennoch gelernt ?

Daß dies tatsächlicher der Fall ist, hat Blodgett (1929) in Experimenten zum sogenannten latenten Lernen im Verhalten sichtbar gemacht.

Drei Gruppen gleichhungriger Ratten wurden an neun aufeinanderfolgenden Tagen je einmal in ein Labyrinth gesetzt.

Die erste Gruppe fand vom ersten Tag an Futter in der Zielkammer. Die zweite Gruppe erst vom dritten Tag an. Die dritte Gruppe erst vom siebten Tag an.

Als Verhaltensleistung wurde die Fehlerrate gemessen.

Jede Gruppe erreichte schlagartig die Verhaltensleistungen der ersten Gruppe, die vom ersten Tag an bekräftigt worden war.

Die Befunde machen wichtige Zusammenhänge klar. Lernen hat hier ohne Bekräftigung stattgefunden. Bekräftigung kann also keine notwendige Bedingung für lernen sein. Lernen kann latent bleiben, d.h. es muß sich wärend des Lernens nicht im Verhalten niederschlagen.

Thorndikes Gesetz der Wirkung ist kein Lern- sondern ein Verhaltensprinzip. Im Verhalten treten sowohl Lernen wie Motivation als getrennte Bedingungsfaktoren gemeinsam auf.

Das Verhalten erklärt sich also aus einem Zusammenwirken von zwei intervenierenden Variablen, einem Lernfaktor (Wissen um die Wege im Labyrinth) und einem Motivationsfaktor (Zielverlangen zum Futter).

Der Lernfaktor führt zur Zielerwartung in Form von Handlung-Folge-Kontingenzen.

Der Motivationsfaktor also das Zielverlangen, ist von physiologischen Bedürfnissen / Trieb und vom Anreiz des Zielobjekts abhängig.

Mit Zielverlangen und Zielerwartung ist es Tolmann gelungen zwei intervenierende Variablen zu konstituieren, die nicht nur kognitiver Natur sind, sondern auch zwischen den beobachtbaren Daten der vorauslaufenden Bedingungen und des Nachfolgenden Verhaltens in solcher Weise vermitteln, daß sich beobachtbare Zielgerichtetheit im Verhalten erklären läßt.